Friedrich-Wilhelm Heumann

Das Sachverständigengutachten im familiengerichtlichen Verfahren

Mit freundlicher Genehmigung des Hermann Luchterhand Verlages, entnommen aus FuR - Familie und Recht 1/2001, Seite 16 bis 20.

I. Einleitung
Der Ausgang eines familiengerichtlichen Verfahrens hängt oftmals entscheidend von der Arbeit des gerichtlich bestellten Sachverständigen ab. Diesem kommt, nicht nur aus der Sicht der betroffenen Familienangehörigen (also Eltern, Großeltern und Kindern), sogar eine überragende Bedeutung zu, weil dessen Votum in der Mehrzahl der gerichtlichen Entscheidungen vom Gericht gutgeheißen wird. Die betroffenen Familienangehörigen fragen sich deshalb mit Recht, von wem denn eigentlich ihre Familiensache entschieden worden ist, vom Sachverständigen oder vom Richter?
In der Sache geht es vor den FamG allemal um entscheidende Weichenstellungen für das künftige Leben der beteiligten Familienangehörigen, ihre emotionelle Anteilnahme und Betroffenheit ist oftmals um ein Vielfaches größer als in den sog. »normalen« zivilrechtlichen Klageverfahren. Umso erstaunlicher erscheint es dem Verfasser, daß die Problematik der Einbeziehung eines Sachverständigen in das familiengerichtliche Verfahren in der bislang gesichteten juristischen Literatur eher recht stiefmütterlich behandelt wird, obgleich doch die familiengerichtliche Praxis immer wieder die gleichen Fragen stellt, nämlich die, ob es überhaupt »Sachverständige« für ein solches Verfahren gibt, welche Qualifikation sie aufweisen sollten, wer bei der Auswahl und Bestellung der Sachverständigen in welchem Ausmaß mitwirken darf und was die Sachverständigen tun dürfen oder nicht. Erst in jüngster Zeit wurde diese Problematik aufgegriffen durch einen Aufsatz von Leitner,1 der aber bezeichnender Weise nicht Jurist, sondern approbierter psychologischer Psychotherapeut ist.
Die vorliegende Abhandlung will einen Beitrag dazu leisten, die Transparenz der Einbeziehung eines Sachverständigen in das familiengerichtliche Verfahren zu erhöhen und der Frage nachzugehen, ob dem Sachverständigen nicht mittlerweile de facto eine so entscheidende Stellung im Verfahren zukommt, daß seine Rolle neu definiert werden muß.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollen die gestellten Fragen grundsätzlich an den Beispielen der gerichtlichen Sorgerechtsregelung bzw. der Regelung des Umgangsrechts gemäß § 621 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO beleuchtet werden.

1. Die gesetzlichen Grundlagen
Will das Gericht im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens der in § 621 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO genannten Art einen Sachverständigen zu Rate ziehen, ist es wegen § 621 a Abs. 1 S. 1 ZPO iVm § 15 FGG gehalten, die Regeln über den Sachverständigenbeweis der §§ 402 bis 414 ZPO entsprechend anzuwenden. Gemäß § 402 ZPO gelten für den Beweis durch Sachverständige auch die Vorschriften für den Beweis durch Zeugen.
Die familiengerichtlichen Verfahren der genannten Art werden also zwar vom Amtsermittlungsgrundsatz des § 12 FGG (sog. Inquisitionsmaxime) bestimmt, das Verfahren selbst richtet sich aber, wenn eine förmliche Beweiserhebung stattfinden soll, nicht ausschließlich nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des FGG. Kommt das Gericht zu der Überzeugung, daß eine förmliche Beweiserhebung stattfinden soll, sind die Bestimmungen der §§ 402ff ZPO entsprechend anzu-wenden.2

2. Freibeweis oder Strengbeweis
In den isolierten Familienverfahren des § 621 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO gilt der Freibeweis. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht derart vorzubereiten wie ein klassisches zivilgerichtliches Streitverfahren. Insbesondere ist das Gericht nicht an Beweisanträge der Beteiligten gebunden, es kann seine Entscheidung auf die Erkenntnisse eines formlosen Ermittlungsverfahrens gründen, es kann aber auch die Entscheidung durch ein förmliches Beweisverfahren vorbereiten.3
Welcher Weg gewählt wird, entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßen Ermessen. Keineswegs sind willkürliche Entscheidungen statthaft, etwa mit der Überlegung, daß ja der Amtsermittlungsgrundsatz dem Gericht eine Wahlfreiheit darüber einräumt, ob ein förmliches Beweisverfahren stattfindet oder nicht. Das Gericht wird sich immer dann für ein förmliches Beweiserhebungsverfahren entscheiden, wenn die zu treffende Entscheidung in verbriefte Grundrechtspositionen der Beteiligten eingreift bzw. eingreifen kann. Das ist in den isolierten Verfahren zwecks Regelung der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts immer der Fall, da mit der zu treffenden Entscheidung immer das Elternrecht aus Art. 6 GG berührt wird.
Für die Einschaltung eines Sachverständigen im familiengerichtlichen Verfahren gilt das oben Gesagte entsprechend. Trifft das Gericht die Entscheidung, einen Sachverständigen zuzuziehen, haben es die Beteiligten am Verfahren im weiteren Verfahrensverlauf mit einer weiteren Person zu tun, deren Interaktion im Verfahren für sie von größter, ja oftmals ausschlaggebender Bedeutung ist.

3. Auswahl des Sachverständigen
Für die Auswahl des Sachverständigen gelten die §§ 15 FGG iVm 404 ZPO. Danach ist es grundsätzlich Sache des Gerichts den Sachverständigen auszuwählen, die Beteiligten am Verfahren haben keine Möglichkeit auf die Auswahl des Sachverständigen Einfluß zu nehmen, weil wegen des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes selbst die vom Gesetzgeber bereits normierte eingeschränkte Einflußnahmemöglichkeit des § 404 Abs. 4 HS 1 ZPO nicht gelten soll.4
Folgt man dieser Auffassung, bedeutet das im Endeffekt, daß die am Verfahren Beteiligten, um deren Belange es ausschließlich geht, einen Menschen als Sachverständigen akzeptieren müssen, von dem sie nichts wissen und auch nichts wissen können, der aber in der Folge seiner Gutachtertätigkeit befugt ist, ihre persönlichsten Lebensumstände zu kennen und möglicherweise das »Unterste zu Oberst« kehrt.
Dieses Ergebnis ist mit dem besonderen, weil sehr persönlichem Charakter der vorzunehmenden Begutachtung nicht in Einklang zu bringen, zumal wenn die Tragweite der vom Gutachter indizierten Entscheidung miteinbezogen wird. Die Tätigkeit des Sachverständigen im familiengerichteten Verfahren hat regelmäßig die beteiligten Menschen und ihre Beziehungen untereinander zum Gegenstand. Insofern unterscheidet sich diese Sachverständigentätigkeit ganz erheblich von der Tätigkeit eines Sachverständigen z. B. in Bausachen, der in allererster Linie mit dem Bauwerk selbst, also einer Sache resp. Sachgesamtheit, zu tun hat.
Es gibt auch keinen überzeugenden Grund dafür, § 404 Abs. 4 ZPO nicht auch im FG-Verfahren gelten zu lassen. Der Amtsermittlungsgrundsatz wird dadurch tatsächlich nicht angetastet. Das Gericht hat nämlich, wenn es die Entscheidung für eine förmliche Beweisaufnahme bereits getroffen hat, jedenfalls für diesen Verfahrensabschnitt selbst den Amtsermittlungsgrundsatz aufgegeben.5

a) Auswahl einer Person
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß grundsätzlich nur eine natürliche Person Sachverständiger sein kann, nicht aber eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts.6 Bestellt das Gericht ein Institut zum »Sachverständigen«, ist diese Bestellung fehlerhaft. Das Institut wäre gehalten, vom Gericht die Bestellung einer sachkundigen Person aus ihren Reihen zu fordern, weil der erteilte Auftrag sonst nicht ausgeführt werden könnte. Mit § 406 Abs. 1 ZPO unvereinbar wäre eine Praxis, die Auswahl der sachkundigen Person dem Institut zu überlassen (was häufig geschehen dürfte) und dann diese Person zum Sachverständigen zu bestellen.
Die gesetzlichen Grundlagen sagen nichts darüber, welche Qualifikation, welches Geschlecht oder welche sonstigen Merkmale ein Sachverständiger erfüllen muß. Das einzige geforderte Merkmal ist die Sachkunde, so daß jeder, der nicht Beteiligter am Verfahren ist und die nötige Sachkunde mitbringt, Sachverständiger sein kann. Das Gericht hat ermessensfehlerfrei zu überprüfen, ob eine Person sachkundig ist oder nicht, für das Auswahlverfahren gibt es keine weiteren gesetzlichen oder sonstigen Grundlagen.
Das Gericht kann für die Erstellung von Sachverständigengutachten auch nicht, wie in anderen Bereichen (z. B. Handwerk etc.) auf öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige zurückgreifen. Für die Sachverständigentätigkeit im Rahmen eines FG-Verfahrens zur Regelung der elterlichen Sorge oder des Umgangsrechts gibt es keine öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige.7
In der Praxis hat sich gezeigt, daß vielfach sachkundige Personen zu Sachverständigen bestellt werden, die sich als solche gegenüber dem Gericht zu erkennen geben, d. h. die bereit sind, eine solche Tätigkeit auszuüben. Dabei wird vielfach die Berufsbezeichnung »Diplompsychologe/in« für ausreichend erachtet, obgleich doch diese Berufsbezeichnung nichts über die Qualifikation als Sachverständige aussagt. Das Gericht muß sich deshalb im Rahmen seines Auswahlermessens immer mit der Frage auseinandersetzen, welche weiteren beruflichen oder persönlichen Merkmale eine Person aufweisen sollte, damit sie als Sachverständige herangezogen werden kann. Ein Studium der Psychologie ist sicherlich von großem Vorteil für eine solche Tätigkeit, das Studium der Pädagogik aber sicherlich auch.8
Soweit es um Verfahren gemäß § 621 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZPO geht, ist aber jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, daß ein Sachverständiger nur eine solche Person sein sollte, die besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der kindlichen Entwicklungs- und/oder Familienpsychologie aufweisen kann.9

b) mehrere Sachverständige
Das Gericht kann gemäß § 404 Abs. 1 S. 1 ZPO mehrere Personen - und zwar gleichzeitig - mit der Erstellung des Gutachtens beauftragen. Ob eine solche Vorgehensweise angezeigt ist, dürfte sich nur aus der konkreten Situation heraus beantworten lassen, insbesondere aber dann angezeigt sein, wenn es gilt, eine sehr komplexe Familiensituation zu begutachten. Diese kann schon dadurch hervorgerufen werden, daß eine Vielzahl von Personen in die Begutachtung einzubeziehen ist, also neben Mutter, Vater und Kind/ern), auch die Großeltern, die neuen Partner der Elternteile, Lehrer oder Erzieher in den Schulen und Kindergärten etc.
Vor dem Hintergrund der konkreten Trennungs- oder Scheidungssituation der Eheleute gewinnt die Frage an Bedeutung, ob die sachverständige Person weiblichen oder männlichen Geschlechts sein sollte. Je nach Standpunkt wird dem einen oder anderen Geschlecht eher die Fähigkeit »sich einzufühlen« zugeschrieben. Gerade dann, wenn der Trennungs- und Scheidungsprozeß von massiven gegenseitigen Vorwürfen, ja sogar Anfeindungen der Eheleute begleitet wird, kommt dieser Frage eine erhebliche praktische Bedeutung zu. Der Gesetzgeber hält zur Lösung dieser Konfliktlage keine konkrete Regelung bereit. Das Gericht wird deshalb im Rahmen des § 404 Abs. 1 S. 1 ZPO zu überlegen haben, ob es nicht im Rahmen einer Deeskalationsstrategie von vornherein zwei sachkundige Personen verschiedenen Geschlechts mit der Begutachtung beauftragt und sie im Rahmen des § 404 a ZPO mit einer arbeitsteiligen Vorgehensweise beauftragt.10

4. Der Auftrag an den Sachverständigen
Das Gericht bedient sich des Sachverständigen deshalb, weil es selbst über die nötige Sachkunde nicht verfügt. Vom Zeugen unterscheidet sich der Sachverständige dadurch, daß er aus vorhandenen Tatsachen wissenschaftlich haltbare Schlußfolgerungen zur Beantwortung der Beweisfrage ableiten kann, der Zeuge hingegen ist gerade derjenige, der die Tatsachen »liefert«, also die Erkenntnisgrundlage für das Gericht und den Sachverständigen schafft, sofern der Sachverhalt strittig und aufklärungsbedürftig geblieben ist.
Diese an sich klare »Aufgabenverteilung« erweist sich in der Praxis aber häufig als nicht durchführbar, so daß der Sachverständige häufig auch die Rolle eines Zeugen oder eines sachverständigen Zeugen gemäß § 414 ZPO einnimmt, ohne daß sich die Beteiligten des Verfahrens darüber im klaren sind.
Der Auftrag durch das Gericht an den Sachverständigen hängt in erster Linie davon ab, welche fehlende Sachkunde das Gericht mit Hilfe des Sachverständigen erwerben will. Geht es darum, die Frage zu entscheiden, das Sorgerecht für den Fall der Scheidung allein auf die Mutter oder auf den Vater zu übertragen, so ist dafür gemäß § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB die Frage zu beantworten, welche Regelung am ehesten dem Wohl des Kindes entspricht. Keineswegs darf das Gericht aber daran gehen, den Auftrag an den Sachverständigen so zu vergeben, daß der Sachverständige genau diese Frage beantwortet. Der Sachverständige darf nicht in die Rolle des Richters schlüpfen, er bleibt Gehilfe des Gerichts.11
Die Aufgabe des Sachverständigen besteht vielmehr darin, aus den bekannten Tatsachen die für die Beantwortung der Beweisfrage wichtigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Das Dilemma besteht aber häufig genug darin, daß dem Sachverständigen keine oder nur unzureichende Anschlußtatsachen bekannt sind, was häufig genug darauf zurückzuführen ist, daß die Parteien selbst oder ihre Prozeßvertreter nicht ausreichend genug vortragen. Das Gericht erliegt bei einer solchen Aktenlage sehr häufig der Versuchung, die fehlenden tatsächlichen Anhaltspunkte durch den Sachverständigen »beschaffen« zu lassen, so daß der Sachverständige häufig zunächst die Rolle eines »Ermittlers« (und anschließend die eines Zeugen) einnimmt, was nicht seine Aufgabe sein kann.
Aus dem Amtsermittlungsgrundsatz ist vielmehr zu folgern, daß das Gericht selbst die fehlenden Tatsachen ermitteln muß. Dazu gehört es dann z. B., daß das Gericht selbst die Klassenlehrerin/den Klassenlehrer hört, um sich ein Bild vom schulischen Verhalten des Kindes zu machen. Dazu würde auch gehören, daß das Gericht sich einen Eindruck von den neuen Lebenspartnern der Eltern verschafft, indem diese persönlich gehört und befragt werden. Erst wenn diese Tatsachen bekannt sind, kann denknotwendig der Sachverständige beauftragt werden.

Der Auftrag an den Sachverständigen könnte z. B. lauten:
»Festzustellen, worin die Bindungen des Kindes zu dem jeweiligen Elternteil begründet liegen«.

Der Auftrag an den Sachverständigen dürfte nicht lauten:
»Festzustellen, ob es dem Wohl des Kindes eher entspricht, bei der Mutter oder bei dem Vater zu leben«.

Was die Abgrenzung zwischen reiner Tatsachenfeststellung, die durch den Zeugen erfolgt, einerseits und Schlußfolgerung, die der Sachverständige vornehmen soll, andererseits, allerdings schwierig macht, ist, daß sich die Tatsachenfeststellung nicht nur auf äußere Tatsachen beschränken läßt. Entscheidend ist oftmals die Feststellung der sog. inneren Tatsachen, also die Feststellung von Haltungen und Einstellungen, die aufgrund gezeigter oder aber auch nicht gezeigter Emotionen, Gesten, Mimiken etc. in die Gutachtertätigkeit einfließen. Diese Feststellungen sind oft entscheidend für den Ausgang des Verfahrens. Das Gericht ist aber aus Gründen der Klarheit des Gutachterauftrages gehalten zu bestimmen, daß der Sachverständige auch und gerade zu diesen inneren Tatsachen Stellung beziehen soll. Für die Beteiligten am Verfahren bedeutet das insofern eine Hilfe, als ihnen von vornherein deutlich werden kann, daß der Sachverständige, entgegen dem was seine Bezeichnung an sich suggeriert, nicht nur objektiv feststellbare Tatsachen aus- und bewertet, sondern auch innere Tatsachen bewertet, die er wiederum nur auf Grund seiner eigenen subjektiven Verfassung erfassen und bewerten kann.

II. Die Arbeit des Sachverständigen
Der Sachverständige hat im Rahmen des ihm erteilten Gutachterauftrages den Auftrag zu erfüllen.12 Der Gutachter wird dabei vom Gericht geleitet - vgl. § 404 a Abs. 1 S. 1 ZPO. Will der Sachverständige außer mit den am Verfahren Beteiligten zur Erfüllung des Gutachterauftrages Kontakt aufnehmen und sie befragen, bedarf er dafür der Weisung des Gerichts - vgl. § 404 a Abs. 4 S. 1 ZPO.
Mit dem Gesetz unvereinbar ist die Praxis, daß der Sachverständige den Umfang seiner Tätigkeit selbst bestimmt. Der Sachverständige ist nicht befugt zu bestimmen, mit wem er zur Klärung der Beweisfrage Kontakt aufnimmt und mit wem nicht, im Zweifel muß sich dies aus dem Beweisbeschluß des Gerichts ergeben, um zu verhindern, daß eine subjektiv gefärbte Auswahl getroffen wird. Allerdings ist zu konstatieren, daß der Sachverständige ansonsten in seiner Tätigkeit frei ist. Eben weil das Gericht nicht über die nötige Sachkunde verfügt, kann es keine Weisungen etwa dahingehend erteilen, welche Methoden oder Tests eingesetzt werden, um die Besinnlichkeit der Beteiligten, gerade auch der Kinder, zu eruieren.13
Hier setzt die ureigene Sachkunde des Gutachters ein und es ist seinem Sachverstand, aber auch seinem Fingerspitzengefühl zu überlassen, inwieweit er die Beteiligten zuvor mit den angewandten Methoden und Tests vertraut macht. Dabei mag ganz besonders zu berücksichtigen sein, daß die Beteiligten umso kooperativer agieren, als sie nicht dem Gefühl begegnen müssen, reines Objekt der Begutachtung zu sein
Für die Gutachtertätigkeit in FG-Verfahren der genannten Art ist von Bedeutung, in welchem zeitlichen Rahmen sie stattfinden soll. Leider ist es häufig so, daß das Gericht diesbezüglich keine Vorgaben macht und sich ganz nach den zeitlichen Möglichkeiten des Sachkundigen richtet. Gerade in FG-Verfahren ist aber häufig eine zügige Arbeit vonnöten, damit das Gericht seine Entscheidung auch zur Befriedung der Beteiligten fällen kann. Das Gericht ist nicht daran gehindert, dem Sachverständigen einen Endtermin für die Erstattung des Gutachtens zu setzen und diesen Termin nur bei zwingenden Gründen (Erkrankung etc.) zu verschieben. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, daß es gerade aus sachverständiger Sicht geboten sein kann, einen möglichst langen Begutachtungszeitraum zu wählen, um sog. Zufallserscheinungen oder auch Zufallsergebnisse auszuschließen. Dem Sachverständigen muß soviel Zeit gewährt werden, daß er in der Lage ist, eine verläßliche Beurteilungsgrundlage zu schaffen, andererseits aber auch an die Verpflichtung gebunden ist, das Gutachten, dessen Auswirkungen in erster Linie die Parteien und deren weitere Lebensplanung betrifft, so schnell wie möglich abzuliefern.
Bei der Erstellung des Gutachtens steht der Sachverständige häufig vor der Frage, mit welchem der Beteiligten er als erstes Kontakt aufnehmen soll. Geht es um die Übertragung des Sorgerechts oder die Regelung des Umgangs ergibt sich häufig die Situation, daß der Sachverständige als erstes Kontakt mit dem Elternteil aufnimmt, bei dem das Kind tatsächlich lebt, um z. B. einen Besuchstermin zu verabreden. Tatsächlich wäre es aus der Sache heraus geboten, zunächst mit dem Kind, um dessen Sorge es vorrangig geht, zu beginnen und es zu befragen, zu beobachten etc. Letztlich muß die Reihenfolge der Befragung dem Sachverständigen überlassen werden, weil auch insofern seine sachkundige Vorgehensweise gefragt ist. Äußere Umstände, wie z. B. Erkrankung, Urlaub etc. können ein Abweichen von der an sich gebotenen Reihenfolge überdies nötig machen. Als sachgerecht dürfte es aber anzusehen sein, wenn der Sachverständige seine Explorationen und Testverfahren jeweils im Wechsel vornimmt, d. h. Vater und Mutter in den Einzelerhebungen abwechselnd erlebt und nicht so vorgeht, daß er einen Beteiligten in der Reihenfolge stets bevorzugt. Das gleiche gilt für die aufgewendete Zeit. Soweit nicht die Testverfahren etc. einen bestimmten Zeitaufwand zwingend fordern, ist darauf zu achten, daß die Beteiligten zeitlich in etwa gleich zu Wort kommen.
Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, die verschiedenen Testverfahren etc., die einem Sachkundigen zur Verfügung stehen, auch nur ansatzweise vorzustellen. Insofern wird auf den Aufsatz von Leitner14 verwiesen. Die Ausführungen von Leitner machen aber deutlich, daß der Sachverständige wohl mehr als bisher Überlegungen dazu anstellen muß, welche Testverfahren zur Beantwortung der Beweisfrage tauglich sind oder nicht. Wendet der Sachverständige bestimmte Testverfahren an, sollte er erklären, warum gerade dieses Verfahren zur Anwendung kommt. Er muß seine Ausführungen diesbezüglich so deutlich fassen, daß er dem Eindruck der Beliebigkeit keinen Vorschub leistet.15 Das Gericht muß überdies in die Lage versetzt werden, die Tauglichkeit eines Testverfahrens nachzuvollziehen. Das kann aber dann nicht geschehen, wenn der Sachverständige darüber keine Auskunft gibt.

III. Zusammenfassung
Das Gericht hat bei der Beauftragung des Sachverständigen im FG-Verfahren den Auftrag so exakt wie irgend möglich festzulegen. Es darf unter dem Eindruck des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht dazu übergehen, dem Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens auch gleich die notwendigen Ermittlungen dazu zu übernehmen. Die Feststellung der Anschlußtatsachen bleibt Aufgabe des Gerichts und kann nur ausnahmsweise dem Sachverständigen überlassen bleiben.
Der Sachverständige muß, will er sich nicht dem Eindruck der Parteilichkeit aussetzen, während seiner gesamten Gutachtertätigkeit darauf bedacht sein, einen stets ausgewogenen Umgang mit den Beteiligten zu pflegen und sich dem Ansinnen des Gerichts entgegenstellen, eine nicht präzisierte Ermittlungstätigkeit für das Gericht zu übernehmen. Er muß - auch angesichts der Tragweite seiner Feststellungen für das weitere Zusammenleben in und außerhalb der Familien - seine Gutachtertätigkeit so transparent wie irgend möglich gestalten. Dazu gehört insbesondere die Erklärung, warum bestimmte Explorationsverfahren zum Einsatz kommen und andere nicht und wie diese Testverfahren organisiert sind.

Friedrich-Wilhelm Heumann
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Straßburger Straße 52
28211 Bremen

E-mail: Seneca@nord-com.net


1 FuR 2000, S. 57ff

2 Bassenge/Herbst, Kom z. FGG/RPfIG 8. Aufl. 1999 § 15 Rdn. 3

3 Vgl. Keidel/Kunze/Winkler Kom. zum FGG 14. Aufl. 1999 § 15 Rdn. 3

4 Keidel/Kunze/Winkler, aaO Rdn. 43

5 Erfahrene Familienrichter wissen, daß sie Ablehnungsanträge gemäß § 406 Abs. 1 ZPO geradezu provozieren, wenn sie die Auswahl des Sachverständigen im Alleingang vornehmen.

6 Vgl. Keidel/Kunze/Winkler, aaO Rdn.47 mit Hinweisen darauf, wann eine juristische Person bzw. eine Behörde zum Sachverständigen bestellt werden kann.

7 Bislang wird diese Tätigkeit überwiegend von Diplompsychologinnen wahrgenommen. Da es für diese keine einheitliche Berufsvertretung gibt, wird es auch in Zukunft schwierig sein, innerhalb dieser Berufsgruppe »Sachverständige« zu finden. Möglicherweise kann aber in Zukunft unter den bei den Kassenärztlichen Vereinigungen registrierten und zugelassenen approbierten psychologischen Psychotherapeuten leichter eine Auswahl getroffen werden, wenngleich Psychotherapeuten nicht per se für eine Gutachtertätigkeit der fraglichen Art geeignet sind.

8 Darauf weist Leitner, aaO S. 62 f mit Recht hin

9 Besonders befremdlich wirkt es für die beteiligten Familienangehörige, wenn zum Sachverständigen eine Person bestellt worden ist, die erklärtermaßen selbst keine Familie und/oder keine Kinder hat. Eine solche sachverständige Person muß sich mit dem (oft unzutreffenden) Vorhalt auseinandersetzen, die für die Materie nötige »emotionale Intelligenz« vermissen zu lassen. Dahinter steckt aber häufig die Unzufriedenheit und das Unbehagen darüber, daß sich eine Person mit Familieninterna befassen soll, die den Beteiligten völlig unbekannt ist. Zwecks Förderung der Akzeptanz und damit auch des Zusammenwirkens wäre zu überlegen, ob die sachverständige Person nicht vor Aufnahme ihrer Tätigkeit den Beteiligten am Verfahren durch das Gericht vorgestellt bzw. auf andere Art und Weise bekannt gemacht werden sollte.

10 die praktische Erfahrung des Verfassers zeigt, daß mit der Erstellung der fraglichen Gutachten häufig Frauen beauftragt werden, die sich im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften oder aber auch einzeln gewerbsmäßig mit der Erstellung dieser Gutachten beschäftigen. Teilweise wird diese Tätigkeit von den Psychologinnen in Teilzeit geleistet, weil sie alleinerziehend und/oder getrenntlebend sind. Viele männliche Beteiligte an den genannten FG-Verfahren hegen allein deshalb Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit weil sie ihnen unterstellen, aus ihrer eigenen Betroffenheit die Rolle der Mutter besser zu verstehen, als die des Vaters.

11 Vgl. Zöller, Kom. z. ZPO 21 Aufl. 1999, § 404 a Rdn. 1

12 Vgl. § 407 Abs. 1 ZPO, der den dort genannten Personenkreis der Gutachter zur Erstattung des Gutachtens verpflichtet

13 Gerade auch deshalb ist es überaus wichtig, daß der Sachverständige die eingesetzten Methoden und Testverfahren erläutert, damit das Gericht und die Beteiligten nachvollziehen können, auf welche Art und Weise der Sachverständige seine Schlußfolgerungen gezogen hat. Häufig weisen die Gutachten die eingesetzten Methoden und Testverfahren nicht aus.

14 AaO S.60f

15 Bei vielen Verfahren kommt gerade dieser Verdacht auf. Es ist z.B. häufig so, daß Erklärungen dafür fehlen, warum bestimmte Testverfahren überhaupt geeignet sind, ein Kind zu explorieren. So soll z.B. der Sonnentest dafür geeignet sein festzustellen, ob und wenn ja welche Beziehungen ein Kind zu den übrigen Mitgliedern der Familie hat. Malt das Kind eine große Sonne mit langen Strahlen und erklärt, das sei der Vater, so wird daraus uU abgeleitet, der Vater sei autoritär. Taucht das Kind bei dem Sonnentest selbst nicht auf, wird daraus die Schlußfolgerung gezogen, daß Kind leide unter einem unterentwickelten Selbstbewußtsein.